on sight
Abenteuer Reibungsklettern: Reginawand

Der Fuß rutscht! Konsterniert starre ich auf das Stück Fels unter mir, auf dem mein linker Fuß zum Stehen kommen soll. Verflixt, das kann doch nicht sein! Am rechten Fuß ist der Fels weder flacher noch rauher als links. Bleib ruhig, probier´s noch mal! Auf dem rechten Bein balancierend versuche ich das Linke zu belasten. Es geht! Es geht nicht! Meine anfängliche Nervosität steigert sich allmählich in's panikartige. Die Erkenntnis, daß wohl irgendwelche Sandkörner an der Boreal-super-Reibungssohle meiner Ninjas hängen, hilft mir auch nicht weiter. Aus dieser labilen Position kann ich weder die Sohle am rechten Hosenbein abwischen, noch abklettern.

"Ruhe und innere Ausgeglichenheit sind psychische Voraussetzungen für ein sicheres und genußreiches Reibungsklettern", so steht´s in irgendeinem Lehrbuch. Na herzlichen Glückwunsch kann ich da nur sagen! Auch wenn der Ring "nur" ein paar Meter links unter mir ist, so wandele ich trotzdem am Rande eines Herzinfarktes! Schönen Gruß vom Sand-Stein!

Die Situation ist ausweglos - der Abflug ist schon gebucht! Nein, noch nicht ganz! Mit dem Mut der Verzweiflung versuche ich den rechten Fuß irgendwie etwas nach links zu setzen - vielleicht kann ich dann ja doch noch die Sohle .... Na bitte, jetzt rutscht der rechte Fuß auch noch! Mit allen Kräften halte ich mich fest, wo es nichts zum Festhalten gibt! Hilflos sehe ich zu, wie meine Füße, wie in Zeitlupe, Millimeter für Millimeter von den Tritten rutschen. Für Sekunden werde ich plötzlich ganz ruhig. Es ist klar was kommt: ich fliege die Platte hinunter. Auf einem Absatz dreht es mich um und ich lande quer im Seil hängend am ersten Ring. Zum Glück ist alles heil geblieben, nur das linke Schienbein hat etwas Haut lassen müssen.

So sieht also VIIIa - Reibung in der Reginawand aus. Sehr interessant! Ich war zwar noch nie eine Leuchte im Reibungsklettern, aber das geht denn doch zu weit! Die Reginawand ist schließlich die meistbegangene Route in diesem Schwierigkeitsgrad am Falkenstein und schon seit Jahren ziemlich weit oben auf meiner Projektliste und dann fliege ich sang- und klanglos aus der Wand.

Max und Matthias erkundigen sich wie´s mir geht. Für Matthias ist es gerade mal der zweite Weg im Elbsandstein und schon macht sein Vorsteiger den Abgang!?

Nein, hier wird kein Sack aufgehängt! Also los! Wieder über den wulstigen Überhang hinauf, am ersten Ring vorbei und nach links in die seichte Kuhle, über der der zweite Ring steckt. Ich schaue mich noch mal um. Der Weg zum Band vier Meter über mir scheint eindeutig: vom Ring nach rechts, dann aus zwei seichten Löchern startend über die glatte Abflugstelle hoch. Die grauen, abgetretenen Stellen auf der sonst leicht grünlichen Platte weisen den Weg durch das Nichts. "Hier haben schon genug Leute vor dir auf der Platte gestanden", versuche ich mir Mut einzuflößen, während ich die Startlöcher und die Reibungstritte feinsäuberlich von allen losen Sandkörnern befreie. Kurz darauf stehe ich in den Löchern. Meine Wadenmuskulatur nähert sich langsam der Konsistenz von Hartgummi. Nun hoch den rechten Fuß - so weit so gut - vorsichtig Belasten und Durchdrücken und den Linken hinterher. Oh ihr Kletterheiligen, laßt die Sohle sauber sein!
Bloß nicht zittern, der Fuß steht entweder sofort oder nie! Steht er? Lehrbuchweisheiten helfen hier wirklich nicht weiter. Er steht! Für eine Sekunde bin ich glücklich, dann wird mir bewußt, daß ich so aber noch keinen Zentimeter höher bin als vorher. Ebenso fieberhaft wie sinnlos tasten meine Hände auf dem glatten Fels herum. Der runde Rand des großen Bandes ist außer Reichweite. Noch einen Schritt ohne Griffe und Tritte? Lieber springe ich freiwillig wieder runter! Plötzlich liegt mein linker Zeigefinger auf einem winzigen Löchelchen, etwas größer als ein Stecknadelkopf. An diesem "Griff" hochsteigen? Das kann nicht gehen! Es muß gehen! Mit aller Kraft presse ich die Hände auf den Sandstein. Adrenalin katapultiert mich schließlich hinauf auf das Band.

Die restlichen zwanzig Meter über die Platte sind danach der wahre Genuß! Immer wieder finden sich kleine Löcher, groß genug um ein oder zwei Finger oder einen großen Zeh hineinzulegen. Nach und nach weicht meine ängstliche Verkrampfung dem Selbstbewußtsein hier nicht noch einmal zu fallen.

Das ist Reibungsklettern am obersten Ende der Güteskala! Die Wand hat genau die richtige Neigung, der granitartig feste Fels ist phantastisch strukturiert, keine Flechte stellt sich in den Weg - mit einem Wort: Hurra!
Max und Matthias bestätigen meine Meinung: die Reginawand ist die beste Reibungskletterei die wir kennen.

Ein paar Tage später erklärt mir Ekki nebenbei, daß die Stelle am zweiten Ring früher unter Zuhilfename einer Wurzel geklettert wurde, welche eine auf dem Band stehende Birke freundlicherweise nach unten reichte.

Christoph Deinet, 1994



Startseite Bibliothek Erlebnisberichte