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Ein fast unglaubliche Geschichte aus dem wilden Absurdistan Es begab sich zu der Zeit, da in unserem Lande der Zutritt zu vielen Felsen in Feld, Wald und Flur von den allmächtigen Naturschutzpharisäern verboten wurde, als zu nächtlicher Stunde an einem Tage des Februars im Jahre des Herrn 1995 ein gewaltiger Felssturz das stille Tal erschütterte, welches sich der Bach auf seinem Weg zum großen Strom hin durch die steilen Hänge des Schiefergebirges gegraben hatte. In dem beschaulichen Örtchen am Ausgang des Tales erschraken die Menschen sehr, denn sie hatten ihre Heimstätten nicht weit von den Felsen gebaut, welche die Hänge des sonst so idyllischen Tales nun so bedrohlich und unnahbar erschienen ließen. Doch die Weisen des Dorfrates hatten ganz andere Sorgen als ihre Bürger: Sie fragten sich,
ob sie in dem Falle, daß ein Mensch in ihrem Tal durch von Felsen fallende Steine verletzt würde,
sie zu Schadenersatzzahlungen verpflichtet seien. Und davor fürchteten sie sich sehr. Zu ihrem
Glück, so befand der Rat, brach der Felssturz des Nachts über ihr friedliches Tälchen herein.
Doch was, so fragte der Weise der Finanzen, wenn sich eine solche Katastrophe am Tage wiederholen
sollte und dabei ein Mensch zu Schaden käme? Der Weise der Finanzen wies auf die leeren Kassen
des Gemeindesäckels hin und darauf, daß solche Kosten nicht zu bezahlen wären. Das trieb dann den Frauen und Mannen des Rates endgültig den Angstschweiß auf die hohen Stirne. Denn sie wußten von den vielen Jüngern der Kunst der vertikalen Bewegung, die sich den Felsen ihres stillen Tales ermächtigt hatten um daran ihrer gotteslästerlichen Betätigung nachzugehen. Nicht, daß es die Dorfhonoratioren bedauert hätten, wenn einer dieser verantwortungslosen Gesellen durch fallende Steine so zu Schaden gekommen wäre, daß er seine Freveltaten nicht hätte weitertreiben können. Aber ihnen dünkte, daß sie für einen solchen Lump auch noch Schadenersatz hätten zahlen müssen, da sie glaubten von Gesetz wegen sicherstellen zu müssen, daß von den Felsen auf ihrem Grund und Boden keine Gefahr in Form fallender Steine ausgehen dürfe. Vor allem der Oberste der Weisen des Rates machte ihnen allen Glauben, daß dieses Gesetz, das da "Verkehrssicherungspflicht" hieß, auch in diesem Falle gelte. Und da sie keinen Weisen des Rechtes und der Gesetze unter sich wußten, folgten sie ihrem Meister in dieser falschen Vorstellung. Denn die Weisen des Rechtes und der Gesetze sind seit Äonen der allgemeinen Auffassung, daß ein von einem Felsen fallender Stein oder gar ein unvermittelt einstürzender Felsen eine "typische Gefahr" sei mit der jeder Erdenbürger jederzeit rechnen müsse, der sich in die unmittelbare Nähe von Felsen begibt. Daher treiben die Jünger der Kunst der vertikalen Bewegung ihr Spiel auch ganz auf eigene Gefahr hin - was diese selbst auch ganz genau wissen - und insofern gibt es an Felsen wie denen in dem kleinen Tal bei dem beschaulichen Dörfchen im Schiefergebirge keinerlei Verkehrssicherungspflichten. Doch der Weise Rat hatte nur eine vage Ahnung davon, was Recht und Gesetz an Felsen sei und
außerdem hatte der Meister des Rates bald schon die rettende Idee für ihr selbsteingeredetes Dilemma:
Wie wäre es, so dozierte der Meister, wenn der Rat seine Pflichten der Sicherung der Verkehrswege
per Vertrag auf einen Dritten, z. B. die Zunft der alpinistischen Freuden in der benachbarten Stadt,
in der einige der Jünger der Kunst der vertikalen Bewegung Mitglied waren, abwälzen könnten? So kam es nun zu Verhandlungen zwischen den Weisen des Rates des beschaulichen Dorfes am Strom und den Meistern der Zunft der alpinen Freuden aus der großen Stadt. Die Weisen des Rates legten ihr Anliegen dar und hofften, daß ihre List unbemerkt bliebe. Doch zu ihrer großen Verwunderung verharrten die in Ehren ergrauten Meister der Zunft nicht in skeptischer Zurückhaltung, sondern sie gingen vielmehr begeistert auf die Weisen des Rates zu, ohne auch nur zu ahnen, in welche Falle sie zu tappen im Begriff waren. Die Meister der Zunft freuten sich, alsbald mit dem kleinen Dorfe einen Pachtvertrag abschließen zu können, mit dem sie glaubten, ihrer Zunft in Zukunft zu mehr Respekt und zu mehr Mitgliedern verhelfen zu können unter den Jüngern der Kunst der vertikalen Bewegung. Dazu, glaubten sie, wäre das Hausrecht, welches sie mit einem Vertrag zu erhalten dachten, genau das richtige Mittel. Als ein paar mutige und selbstlose Jünger der Kunst der vertikalen Bewegung, die nicht Mitglieder
der Ehrenvollen Zunft der alpinen Freuden waren, von den Absichten der Weisen des Dorfes und den
Meistern der Zunft erfuhren, setzten sie alle Hebel in Bewegung, um einerseits die Zunft vor der
sinnlosen Übernahme der Verkehrs- und der Felssicherungspflichten zu bewahren und um andererseits
allen Jüngern der Kunst der vertikalen Bewegung auch in Zukunft den freien Zugang zu den Felsen des
kleinen Tales im Schiefergebirge zu bewahren. Doch die Weisen des Rates des beschaulichen Dorfes waren inzwischen vorsichtiger geworden und änderten den Enwurf des Vertrages. Aus einem Pachtvertrag wurde ein Nutzungsvertrag - ein geradezu genialischer Schachzug! Mit diesem Vertrag konnte man den arglosen Meistern der Zunft der alpinen Freuden das Recht auf eine Nutzung verkaufen, die sowieso nie in Frage stand, für die Übernahme der zwar nicht existenten aber dennoch das Gewissen belastenden und im schlimmsten Falle teuren Verkehrs- und Felssicherungspflichten. Und diesen geschickten Pseudohandel konnte man sogar machen ohne dabei auf die eigenen Eigentümerrechte, auf die die Meister der Zunft der alpinen Freuden so unverholen ihr Auge geworfen hatten, aufs Spiel zu setzen. So geriet der Vertrag, mit dem die Meister der Zunft der alpinen Freuden die Macht an den Felsen in dem kleinen Tal an sich reißen wollten, zu einem Muster ohne Wert. Alle Interventionen der kleinen, wackeren Schar der um ihr Recht auf freie Ausübung ihres Spiels kämpfenden Jünger der Kunst der vertikalen Bewegung waren vergeblich. Es kam wie es kommen mußte: Der nutzlose Nutzungsvertrag wurde unterzeichnet. Doch die Meister der Zunft der alpinen Freuden waren sich ihres mangelnden Durchblickes nicht bewußt. Und selbst wenn, hätten sie diesen Umstand nicht zugeben wollen gegenüber den Mitgliedern ihrer Zunft. Wäre kein Vertrag - so nutzlos er auch sei - zustandegekommen, hätte man sich schließlich fragen lassen müssen, welchen Sinn denn die immensen Kosten des Gutachtens über die Zukunft der Felsen des kleinen Tales gemacht hatten. Eine Untersuchung, die als Gegengutachten zu dem von den Weisen des Rates eingeholten Gutachten gedacht war, und die doch nur dessen Ergebnis bestätigte. Diese Ausgaben waren doch letzlich genauso nutzlos wie der Nutzungsvertrag. Doch um diesen sich aufdrängenden Fragen zu entgehen, drehten die Meister der Zunft den Spieß
einfach um und versuchten ihren Schildbürgerstreich in einen strahlenden Sieg umzudeuten. Überall
ließen sie verlauten, daß die Jünger der Kunst der vertikalen Bewegung allein durch das heldenhafte
Eingreifen der Zunft der alpinen Freuden in dem kleinen Tale nun wieder nach Herzenslust ihrem Spiel
nachgehen könnten. Obwohl doch die Ausübung der Kunst der vertikalen Bewegung tatsächlich nie verboten
war. So kam es, daß eines der schönsten Täler in dem Gebirge nahe des großen Stromes, welches so famose Felsformationen für die Ausübung der Kunst der vertikalen Bewegung bietet, bis zum heutigen Tag durch den Hausrechtsanspruch der Zunft der alpinen Freuden aus der nahen Stadt belastet und die Jünger des künstlerischen Bewegungsspiels am Fels von allerlei selbsternannten Hausmeistern mit Blockwartmentalität genervt werden. Christoph Deinet, 1999 |
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