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Wenn Ahnungslosigkeit zum Handlungsmotor wird

Ein Stilleben deutscher Behördenseligkeit

Am 19. August 1993 legte eine Vertreterin der Oberen Naturschutzbehörde des Regierungspräsidiums Gießen in einem Schreiben an die DAV-Sektion Frankfurt a. M. ihre Erkenntnisse zum Klettern am Konradsfelsen dar: "Eine Nutzung des Felsens für Freizeitaktivitäten, wie z. B. das Klettern, findet z. Z. meines Wissens nicht bzw. wenn, dann nur illegal statt." Mit dieser, die rund fünfzigjährige Klettertradition am Konradsfels ignorierenden Auskunft legte die Behörde aber unfreiwillig in erster Linie nur ihr mangelhaftes Wissen über den Klettersport dar. Beachtenswerter noch als die Unkenntnis der hessischen Klettergeschichte war jedoch die Auffassung, daß das Klettern "die Natur schädigt, den Naturgenuß beeinträchtigt" und "das Landschaftsbild verunstaltet" und aus diesen Gründen ein nicht genehmigungsfähiger Eingriff sei. Da wieherte der Gießener Amtsschimmel, daß man es bis nach Frankfurt hörte! Weiter wurde von "erforderlichen baulichen Maßnahmen wie z.B. Klettersteige" phantasiert und den Kletterern mitgeteilt, daß das Klettern am Konradsfelsen eine mit Bußgeld sanktionierte Ordnungswidrigkeit darstelle. Au weia!

Szenenwechsel, 2. Dezember 1998, Regierungspräsidium Gießen, Obere Naturschutzbehörde: Den versammelten Kletterervertretern wird wiedereinmal "erklärt", daß das Klettern am Konradsfelsen ein Eingriff sei, den man nicht genehmigen werde. Das Areal um den Konradsfelsen müsse dringend "beruhigt" werden. Und da die Kletterer "stören", sei ein totales Kletterverbot unausweichlich. Aha! Fünf Jahre vergangen und nichts dazugelernt!? Vielleicht doch: Nach zweistündiger Diskussion machte sich bei den Behördenvertretern schließlich die Erkenntnis breit, daß man den Kletterern nicht einfach den Fels wegnehmen und sie dann wie dumme Jungs nach hause schicken kann. Sachliche Diskussion tut Not, und da sich die Kletterer - wie so oft - in allen Details besser informiert zeigten, als die Vertreter der Naturschutzbehörde, soll es nun demnächst doch noch zu einer Ortsbesichtigung kommen. Immerhin! 1993 hieß es noch lapidar: "Aus der Sicht des Naturschutzes und der Landschaftspflege ist der Felsen von jeglicher Nutzung freizuhalten, eine Genehmigung zum Klettern kann nicht in Aussicht gestellt werden. Insofern ist auch kein Ortstermin notwendig."

Schild Noch bunter treiben es die Vertreter des Gemeindevorstands der Gemeinde Villmar. Zu der rein fachlichen Inkompetenz, die sich vor allem in den 1994 aufgehängten Schildern manifestiert (Das ist kein Witz, sondern die bittere Realität!) kommt hier ebenfalls eine haarsträubend falsche Einschätzung der gegebenen Rechtslage hinzu, was die Möglichkeit privatrechtlicher Kletterverbote anbetrifft. Auch in Villmar ist man der Ansicht, als Eigentümer eines Felsens das Klettern privatrechtlich verbieten zu können. Daß jedoch ein solches Unterfangen nur dann möglich ist, wenn das in Frage stehende Areal vollständig umzäunt ist (mithin es sich um ein "befriedetes Besitztum" handelt, wie die Juristen formulieren), ficht die Gemeindevertreter nicht an. Stattdessen verkünden sie in einem Schreiben an die Obere Naturschutzbehörde in Gießen mit an Arroganz grenzendem Selbstbewußtsein, daß sie eine Besprechung über Klettern und Naturschutz am Konradsfelsen in den Räumen des Regierungspräsidiums für sinnlos und damit überflüssig erachten, da sie das Klettern ja aufgrund ihrer Eigentümerstellung sowieso nicht dulden!

Hätten die Damen und Herren doch besser einen fachkundigen Juristen zu Rate gezogen, anstatt sich mit einem solchen Schnellschuß der Lächerlichkeit Preis zu geben. So meint z. B. das Regierungspräsidium Darmstadt zu diesem Thema in allerfeinstem Behördendeutsch: "Verbieten Eigentümer bzw. Nutzungsberechtigte von Grundstücken, die der Betretungsbefugnis unterliegen, Erholungssuchenden mündlich oder durch Aufstellen von Schildern das Betreten des Grundstückes, so sind diese Verbote für den Erholungssuchenden grundsätzlich unbeachtlich."

Alles in allem zeigt sich am Beispiel des Konradsfelsens, wie wenig das Handeln der Behörden in Sachen Klettern und Naturschutz von Sachkenntnissen geleitet ist - und zwar weder in naturschutzfachlicher, noch in juristischer und schon gar nicht in klettersportlicher Hinsicht. Besonders erschütternd sind dabei vor allem die weit verbreiteten Fehleinschätzungen der gegebenen Rechtslage. Daß der bundesdeutsche Naturschutz sich weitgehend nicht an sachlichen Erfordernissen orientiert, sondern oft genug allein ideologisch motiviert ist, ist sicher keine neue Erkenntnis. Wenn aber die Verwaltung sich in elementaren Rechtsgrundsätzen so kraß desinformiert zeigt, wie in den o. g. Fällen, darf man sich über verwaltungspolitische Schildbürgerstreiche jedweder Art nicht mehr wundern.

Gemünzt auf das Klettern am Konradsfels heißt die Begründung für die angestrebte Totalsperrung cum granum salis: Geht doch woanders klettern! Wir wollen hier unsere Ruhe haben! Oder wie es einmal ein Hessischer Umweltminister formulierte (der hieß Jörg Jordan und nicht Sankt Florian): "Bei einer Sportart, die in Bereichen ausgeübt werden soll, in der natürliche Felswände kaum und auch geeignete Steinbrüche nur vereinzelt vorhanden sind und die somit nicht als landschaftsangepaßte bzw. gebietstypische Freizeitaktivität bezeichnet werden kann, sind auch weitere Anfahrstwege zur Erreichung naturverträglicher Klettergärten nicht zu vermeiden."

Christoph Deinet, 1999



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