on sight
Der Kleine Berg

Von einem Berg der nicht mehr allein sein wollte

Es war einmal ein Kleiner Berg in einem durchschnittlichen Mittelgebirge auf einem fernen Kontinent. Es ging dem Kleinen Berg gut. Der Wald auf ihm war dicht und er hielt im Sommer kühl und im Winter warm. Mit den Tieren verstand sich der Kleine Berg gut, auch wenn der dumme Dachs ständig neue Gänge in ihn grub. Dennoch war der Kleine Berg traurig, denn kein Mensch wollte ihn besteigen. Er war wohl viel zu klein und zu unbedeutend, als daß jemand an ihm Interesse gefunden hätte.

Nach einigen tausend Jahren war der Kleine Berg langsam am Verzweifeln. Er wußte, daß er nicht mehr wachsen konnte. Doch eine andere Möglichkeit Menschen anzulocken fiel ihm nicht ein. Irgendwann erzählte ihm sein Freund der Nachbarvulkan von einem neuen, ganz merkwürdigen Verhalten der Menschen. "Früher", so erzählte der Vulkan "fraßen sich die Menschen gegenseitig auf. Dann führten sie Kriege um sich umzubringen. Jetzt auf einmal", der Vulkan stockte einen kurzen Moment, als ob er es selbst kaum glauben konnte, "jetzt auf einmal klettern die Menschen so lange auf Felsen bis sie hinunterfallen." Der Kleine Berg war überrascht. Doch bald kam ihm eine großartige Idee in den Sinn.

Die Menschen kletterten auf Felsen. Das war es, das war seine Rettung! Er brauchte nur eine schöne Felswand und die Menschen, so dachte er sich, würden irgendwann auch zu ihm kommen. Doch woher sollte er auf einmal einen Felsen nehmen? Vielleicht ein Erdbeben, verbunden mit einem kleinen Erdrutsch? Doch woher sollte das Erdbeben kommen? Der Kleine Berg fragte seinen Freund, den Vulkan ob er ihm helfen könne mit dem Erdbeben. "Sieh mein Freund", antwortete der Vulkan, "ich bin seit vielen Jahren erloschen und ich habe bestimmt nicht mehr die Kraft ein Erdbeben auslösen zu können." Der Kleine Berg flehte ihn an: "Bitte, nur ein ganz kleines Erdbeben." Der Vulkan blieb jedoch taub für den Wunsch seines Freundes. Noch lange mußte der Kleine Berg flehen, bis sich der Vulkan erweichen ließ, alles zu geben, um seinem Freund ein neues Leben zu verschaffen.

An einem fahlen Frühjahrsmorgen sollte der große Moment kommen. Der Vulkan nahm alle seine Kräfte zusammen. Langsam, ganz langsam war ein Vibrieren des Bodens zu spüren. "Fester! Mehr", feuerte der Kleine Berg seinen Freund an. Plötzlich bebte die Erde. Der Kleine Berg spürte, das nun seine Stunde gekommen war. Er konzentrierte sich ganz auf den Südhang. Er wußte, daß es weh tun würde, doch er vergaß alle Schmerzen in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Als das Beben fast schon vorbei war und der Vulkan schon glaubte alles sei umsonst gewesen, brach mit einem fürchterlichen Getöse eine breite Front des Südhanges ab und stürzte zu Tal. Zurück blieb eine Felswand, steil und kompakt, wie geschaffen fürs Klettern. Der Kleine Berg hatte gewaltige Schmerzen, doch die wiedererlangte Hoffnung Menschen als Freunde zu haben, ließ ihn alle Qualen schnell vergessen. Tag für Tag wartete der Kleine Berg nun auf die Kletterer. Wochen und Monate vergingen, ohne daß ein Mensch zu spüren war. Der Kleine Berg wurde ungeduldig und fragte sich: "Was habe ich nur falsch gemacht? Warum kommen keine Menschen zu meiner Felswand?" Sein Freund der Vulkan meinte, daß sich vielleicht alle Menschen schon zu Tode gestürzt hätten.

Der Kleine Berg wollte schon alle seine Hoffnungen begraben, als unten im Tal merkwürdige Aktivitäten zu spüren waren. Es war ein klarer Sommermorgen. Der Kleine Berg genoß die frische Morgenluft und die ersten Sonnenstrahlen. Er versuchte zu ergründen, was sich wohl am Fuße seines Südhanges abspielte. Doch da! Waren da nicht Stimmen zu hören? Tatsächlich, dort kamen Menschen durchs Unterholz gekrochen. Langsam und vorsichtig kamen sie den Hang hinauf. Der Kleine Berg wurde ganz aufgeregt, denn die Menschen hielten offensichtlich auf seine Felswand zu. Waren das die Kletterer, auf die er so lange gewartet hatte? Er war sich sicher. "Hurra, endlich Menschen", dachte er sich, "nun bin ich nie mehr allein." Hatte nicht aber der Vulkan erzählt, die wollten sich zu Tode stürzen? Das mußte der Kleine Berg unbedingt verhindern. Die Menschen sollten sich über seine Felswand freuen statt sich das Leben zu nehmen. Der Kleine Berg wartete ganz gespannt auf die Aktionen der Kletterer, die nun folgen sollten.

Er wußte noch nicht recht, wie er überhaupt die Mensche von ihren traurigen Plänen abbringen sollte. Die Kletterer waren inzwischen am Fuß der Wand angekommen. Der Kleine Berg hörte ihnen zu als sie die Felswand entlanggingen. Obwohl er nichts von dem verstand was sie sagten, war ihm doch schnell klar, daß diese Menschen nicht hergekommen waren um sich umzubringen. Die drei, die jetzt unter seiner Felswand standen lachten viel und waren voller Vorfreude auf ihre Unternehmungen. Der Kleine Berg war sehr froh. Diese drei, dachte er sich, konnten keine Lebensmüden sein.

Da! Der Kleine Berg spürte, wie der Erste vorsichtig an der Wand hinauf kletterte. Er spürte seine zaghaften Bewegungen. Er genoß das Kitzeln der Schuhe und lauschte den Kommandos, die sich die Kletterer zuriefen. Nachdem die drei Menschen nacheinander die Felswand erklettert hatten und sich jubelnd in die Arme fielen, wußte der Kleine Berg, daß er noch oft das Kitzeln ihrer Sohlen würde spüren können.

Tatsächlich kamen diese Drei immer wieder und kletterten an immer neuen Stellen die Felswand empor. Bald kamen auch andere, neue Menschen zu dem Kleinen Berg um zu klettern.

So bildete sich allmählich eine richtige Gruppe, die sich regelmäßig zum Klettern traf. Im Sommer blieben manche von ihnen sogar einmal mehrere Tage an der Felswand. Der Kleine Berg genoß die abendlichen Lagerfeuer, auch wenn er manchmal Angst um seinen Wald hatte. Im Winter, wenn der Kleine Berg dick mit Schnee eingepackt war, blieb er zwar alleine, doch machte ihm das jetzt nichts mehr aus. Wußte er doch, daß ihn seine Freunde am ersten warmen Vorfrühlingstag wieder besuchen würden.

So vergingen viele Jahre und der Kleine Berg war glücklich, daß die Menschen so viel Freude an seiner Felswand gefunden hatten.

Eines Tages , es war ein gemütlicher Morgen Anfang November, wurde der Kleine Berg urplötzlich aus der Dämmerung gerissen. Auf dem Trampelpfad, der sich im Lauf der Zeit gebildet hatte, stapften doch wahrhaftig zwei Kletterer durchs Herbstlaub zur Wand hinauf. Der Kleine Berg wollte es kaum glauben. Bei so einem tristen Nebelwetter war vorher noch nie ein Mensch zum Klettern gekommen! Als die beiden unter der Wand angekommen waren, gingen sie ohne sich länger aufzuhalten ganz nach rechts außen, wo die Wand viel niedriger, dafür aber gelb und überhängend war. Der Kleine Berg war erstaunt, hatte doch in all den Jahren zuvor nie ein Mensch Interesse an diesem Teil seiner Felswand gezeigt. Die zwei setzten ihre Rucksäcke ab. Merkwürdig schwere Rucksäcke waren das. Vollgepackt mit allerlei Gerät, welches die Kletterer jetzt mit lautem Gerassel auspackten. Dem Kleinen Berg war gar nicht so wohl bei dem Gedanken, daß diese beiden so viel Material zum Klettern benötigten. Die vielen Kletterer vor ihnen waren alle ohne schwere Rucksäcke den Wald hinauf gekommen und hatten auch ihren Spaß.

Es fing gerade an zu nieseln, als sich der Erste daran machte das ganze Gerät den Fels hinauf zu schleppen. Schnell brachte er die ersten Meter unter sich, doch bald stockte er. Nach einer kurzen Pause ertönte ein Rasseln und plötzlich, "peng, peng, peng, peng", schlug er einen dicken Stachel mitten in eine der Spalten, die Felswand an dieser Stelle durchzogen. Der Kletterer hielt einen Moment inne. Tief hatte er den Stachel eingeschlagen und der Kleine Berg hatte fürchterliche Schmerzen. Doch schon wieder hämmerte der Kletterer auf den Fels ein., als wollte er den ganzen Berg spalten. Wieder und wieder drosch er Stachel über Stachel in den Spalt, an dem er sich hocharbeitete. Beinahe ohnmächtig vor Schmerzen hoffte der Kleine Berg, daß diese Folter bald ein Ende haben würde. Der Kletterer kam nur schrecklich langsam vorwärts, obwohl der Fels schon mit Stacheln gespickt war. Dem Kleinen Berg schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis dieser Folterknecht am Gipfel angekommen und der letzte Hammerschlag verklungen war. Eine richtige Stachelreihe hatte er in der Felswand zurückgelassen. Bald folgte der Zweite, von dem der Kleine Berg hoffte, daß er die Stacheln wieder herausziehen würde. Er wartetet sehnsüchtig darauf von seinen Qualen erlöst zu werden. Doch es geschah nichts. Ohne auch nur den Versuch zu machen einen Stachel wieder herauszuschlagen, kletterte der Zweite ruhig und gelassen an der Stachelreihe empor. Der Kleine Berg war außer sich vor Wut. "So sind die Menschen", dachte er sich. "Erst sind sie friedlich und ohne böse Absichten, dann werden sie ohne ersichtlichen Grund gewalttätig und zerstörerisch". Doch was konnte er schon dagegen unternehmen? Er hatte die Menschen angelockt und mußte nun mit ihnen auskommen.

Die zwei Kletterer waren inzwischen schon wieder bei den Rucksäcken. Sie standen unter ihrer Stachelreihe und betrachteten sich stolz ihre Hinterlassenschaft. Als sie sich dann endlich auf den Heimweg machten, hatte der Kleine Berg eine großartige Idee. "Die Stachel sind wohl aus Metall", dachte er sich. "Wenn ich Wasser durch den Spalt nach außen fließen lasse, müßten diese Eisenstachel doch eigentlich bald wieder zerfallen". Der Kleine Berg brauchte also nur eine Grundwasserader umzuleiten und das Wasser durch den Spalt abfließen zu lassen. Die Kraft des Wassers würde das Metall zersetzen, bis die Stacheln aus der Wand fallen würden.

Erdacht, getan! Tag und Nacht werkelte der Kleine Berg in seinem Inneren herum, besessen von dem Gedanken, die eisernen Stacheln die ihn so sehr peinigten, so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Nach drei langen Tagen war es soweit. Allmählich wurde der Spalt erst feucht, dann richtig naß, bis bald das Wasser heruntertriefte. "Hoffentlich kommen nie wieder Kletterer hierher, um mich mit Stacheln zu foltern", sagte sich der Kleine Berg. "Wo sind bloß meine Freunde von früher geblieben", fragte er sich und dachte sehnsüchtig an die langen Abende mit Lagerfeuer und Gitarrenmusik zurück.

Nachdem der Winter vorüber war und die Frühlingssonne die Felswand von ihrem Eispanzer befreit hatte, kamen auch die Schandmale des vergangenen Herbstes wieder zum Vorschein. Häßliche braune Roststreifen markierten nun die Stachellinie und der Kleine Berg war sich sicher, daß nie wieder ein Mensch kommen würde um Stacheln in seine Felswand zu schlagen. Doch der Kleine Berg irrte sich. Schon die ersten Kletterer im Frühjahr gingen zunächst zu der Spalte, an der sich schon die Letzten hochgenagelt hatten. Als sie jedoch sahen, wie sehr die Stacheln in dem nassen Spalt im Winter verrostet waren, gingen sie einfach ein par Meter weiter und arbeiteten sich in der gleichen Manier den nächsten Spalt empor.

Nach und nach kamen immer mehr Kletterer und hämmerten Eisenstachel in die Felswand. Nach wenigen Jahren waren alle Spalten von unten bis oben gespickt mit duzenden von Stacheln. Selbst an Stellen, wo früher die Menschen kletterten, ohne Stachel zu benötigen, steckten jetzt dicht an dicht diese Folterinstrumente. Der Kleine Berg war tief deprimiert. Er verstand die Menschen nicht mehr. Früher hatten sie ihren Spaß beim Klettern und jetzt kämpften sie sich laut fluchend mit diesen stählernen Hilfsmitteln seine Wand empor. Eines Tages kamen Kletterer, die sogar in den glattesten Teil der ganzen Wand ihre Stachel schlugen. Dort gab es keinen Spalt, also bohrten sie zuerst Löcher um dann dorthinein die Stacheln zu dreschen. Mitten über einen großen Überhang bohrten sie Loch an Loch, in einer schnurgeraden Reihe vom Fuß der Wand bis zum Gipfel. Tagelang hallte der Wald von dem lauten Hämmern wieder. Als sie ihre Arbeit vollendet hatten, verschwanden sie und kamen nie wieder zurück um noch einmal den Weg zu klettern. Bald kamen überhaupt keine Kletterer mehr zu der Felswand und es wurde still auf dem Kleinen Berg.

Jahre vergingen, doch kein Mensch ließ sich an der Felswand blicken. Der schmale Pfad, den die Kletterer immer benutzten wurde langsam wieder vom Wald zurückerobert. Viele der kleinen Stacheln, die dem Berg so weh taten, fielen nun aus der Wand, weil sie durchgerostet waren, oder das Gestein abplatzte. Auf diese Weise konnte sich der Kleine Berg zwar von den Entbehrungen der letzten Jahre erholen, so allein gelassen war er aber bald wieder traurig und sehnte sich die Kletterer zurück. Sollte all seine Mühe umsonst gewesen sein? Vielleicht war ja doch etwas Wahres dran an der Geschichte, daß sich die Menschen nur zu Tode stürzen wollten? Oder sie hatten inzwischen einen schöneren Felsen als seinen gefunden. Viel Fragen stellte der Kleine Berg. Doch er erhielt keine Antwort. Auch sein alter Freund der Nachbarvulkan konnte sich darauf keinen Reim machen.

Weit und breit war kein Kletterer in Sicht. Mit der Zeit wurde die Felswand immer mehr überwuchert von Efeu und Gestrüpp. In dem Spalt, in dem die Eisenstachel gesteckt hatten und an dem noch immer das Wasser herunterrann, siedelten nun dicke Algenpolster. Der Kleine Berg sah bald ein, daß an solch einer Felswand kein Mensch mehr würde klettern wollen. Ab und zu kamen zwar Wanderer unterhalb des Kleinen Berges entlang, doch die trotteten immer und immer wieder teilnahmslos vorbei, so als ob es den schönen, großen Felsen gar nicht gäbe. Immer alle sieben Tage stapften die Wanderer durch den Wald, als ob es nur an diesen Tagen den Menschen erlaubt wäre zu wandern.

Es war dann irgendwann im Mai ein solcher Tag, der besonders schön war. Die vielen Wanderer, die die warme Sonne genossen. waren dem Kleinen Berg gleichgültig. Zwei der Wanderer scherten jedoch auf einmal aus und bahnten sich einen Weg durchs Gestrüpp hoch zur Felswand. Der Kleine Berg bemerkte dies zuerst gar nicht. Erst als sie unter der Wand hin und herliefen wurde er aufgeschreckt. "Sie sind da! Hurra! Endlich wieder Kletterer bei mir", jubelte der Kleine Berg in sich hinein. Er versuchte jeden Schritt, jede Bewegung zu erspüren. Ganz aufgeregt war er, so daß es lange dauerte, bis er bemerkte, daß diese zwei überhaupt keine Rucksäcke dabei hatten. Sollten es am Ende doch keine Kletterer sein? Aber was wollten sie dann an der Felswand? Bevor der Kleine Berg jedoch dies noch ergründen konnte, verschwanden die beiden Menschen genau so plötzlich, wie sie aufgetaucht waren. In den Tagen darauf fieberte der Kleine Berg dem nächsten Wandertag entgegen. "Vielleicht dürfen die Menschen auch nur alle sieben Tage klettern", dachte er sich. Es wurden die längsten sieben Tage seines Lebens.

Endlich war es soweit. Schon ganz früh am Morgen begab sich der Kleine Berg in Horchposition. Jede Bewegung im Wald registrierte er angespannt. Doch bis zum Mittag waren nur einige normale Wanderer und ein paar Rehe zu spüren. Die Sonne neigte sich schon wieder, als es endlich losging. Die beiden Männer kamen wirklich wieder zurück. Es waren also doch Kletterer!

Der Kleine Berg war glücklich. Die Zwei hatten wohl noch Verstärkung mitgebracht, denn kurz darauf kämpften sich noch drei weitere Menschen den steilen Hang hinauf. Sie trafen sich alle am Fuß der Wand und beratschlagten ihre Unternehmungen. Sie hatten viel Gepäck dabei und der Kleine Berg hatte schon die Befürchtung, die Menschen würden wieder Stacheln in seine Felswand schlagen. Die Rucksäcke waren aber nicht gefüllt mit Folterinstrumenten, sondern mit Sägen, Bürsten und anderem Werkzeug. Die Kletterer machten sich an die Arbeit. Sie begannen von links die Wand systematisch von ihrem Panzer zu befreien. Es war harte Arbeit. Die Efeustränge hatten manchmal schon die Dicke von Menschenarmen. Doch die Fünf kamen vorwärts. Langsam lugte wieder der helle Fels unter dem Dickicht heraus. Der Kleine Berg war begeistert. "Menschen, die sich so viel Mühe mit meiner Felswand machen werden sicher noch oft zu mir kommen", dachte er zuversichtlich. Doch leider wurde es bald dunkel und die fünf Kletterer mußten ihre Arbeit für diesen Tag beenden. Nachdem sie ihr gesamtes Material wieder zusammengepackt hatten, verstauten sie zwei große Rucksäcke in einer Höhle am Wandfuß, anstatt sie mit nach Hause zu nehmen. Das war der Beweis! Diese Fünf würden noch öfter kommen um die Wand in einen kletterbaren Zustand zu versetzen. Schon am nächsten Tag waren sie wieder da. Nicht alle, aber zu dritt schafften sie es dennoch, ein großes Stück Fels dem wuchernden Grün zu entreißen. Sie kamen fast jeden Tag und bald war die Felswand genauso schön zum Klettern wie früher schon. Nach zwei Wochen hatten sie es geschafft, jetzt konnten sie mit dem Klettern beginnen. Es war wieder einer von den Wandertagen, als fünf junge Menschen schon früh am Morgen an der Wand auftauchten. Sie teilten sich in zwei Gruppen auf und begannen Route um Route zu klettern. Merkwürdig war, daß der Kleine Berg ihre Schuhe fast gar nicht spürte. Von den Schuhen der früheren Kletterer wurde er immer ein bißchen gekitzelt, was der Kleine Berg eigentlich ganz gern gehabt hatte. Dafür schlugen diese jungen Leute aber auch keine Stacheln mehr in seine Wand. In keiner einzigen Route benötigten sie auch nur einen einzigen neuen Stachel. Selbst in solchen Wegen nicht, in denen noch viele alte verrostete Stachel steckten. Was aber das Seltsamste war. die neuen Kletterer puderten den Fels dort wo sie griffen mit einem merkwürdigen weißen Puder ein. Zuerst erschrak der Kleine Berg, doch irgendwann schenkte er dem Pulver keine Beachtung mehr. Es schmeckte zwar nicht besonders gut, aber es schadete auch nicht. Den ganzen Sommer über kamen die jungen Menschen und kletterten viele von den alten Stachelrouten. Bis spät in den Herbst waren sie immer wieder an der Felswand zu finden und puderten dem Kleinen Berg das weiße Pulver auf die Griffe. Der Kleine Berg war überglücklich und beseelt von der Hoffnung, diese neue Freunde nie mehr zu verlieren.

Und wenn sie nicht abgestürzt sind, dann sind die Kletterer auch heute noch und für alle Zeit die besten Freunde des Kleinen Berges.

Christoph Deinet, 1992



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